Seit 1910 quicklebendig und immer wieder gut...

Auf Anregung von Dr. Hermann Vollmer, seit 1905 Vorsitzender des Verkehrsvereins, wurde am 29. Mai 1910 der erste Speyerer “Brezeltag" gefeiert. Vollmer soll diese Idee aus der Speyerer Kegelgesellschaft mitgebracht haben. Schon bald wurde das Brezelfest auf drei und später auf fünf Tage ausgedehnt.

 

Der Termin für das erste Brezelfest wurde auf den 29. Mai 1910 festgelegt, acht Tage nach Einweihung des Historischen Museums. In einer Aufforderung an die Bevölkerung der Stadt Speyer wurde „die verehrliche Einwohnerschaft ersucht, sich an der Festveranstaltung rege zu beteiligen und insbesondere durch reichen Flaggenschmuck zu einem guten Gelingen des Bretzeltages beitragen zu wollen“. Und so war es eine Selbstverständlichkeit, dass alle verfügbaren Fahnen über das Brezelfest dem Geschehen einen festlichen Rahmen geben sollten. Besonders originell seien die meisten Geschäfte geschmückt gewesen, hatte man doch mit dem Bretzeltag ein Schaufensterwettbewerb verbunden. Den ersten Preis erhielt das Kaufhaus am Dom (heutiges Café Schlosser), der zweite Preis ging an das Warenhaus Albert Mayer, der dritte Preis wurde an die Eisenhandlung Metzger (Nachfolger Landmann) vergeben.
Obwohl der 29. Mai 1910 verregnet war, entsprach der Erfolg den Erwartungen. Das Fest hatte seine Existenzberechtigung bewiesen und entwickelte sich zum Fest der Feste für Speyer, was übrigens auch im 21. Jahrhundert noch gilt. Das Festprogramm sah morgens Standmusik und nachmittags einen Festzug durch die Stadt vor. Schluss- und Höhepunkt des Festes bildete der Aufstieg eines bemannten Freiballons vom Festplatz aus.
Bereits am frühen Morgen kamen viele Festbesucher nach Speyer. Das Pfefferminzbähnel brachte allein 500 Personen, das Stoll‘sche Dampfboot von Karlsruhe 400 Personen, darunter die Unteroffiziersschule Ettlingen mit ihrer Kapelle. An sie wurden eigene Festabzeichen mit einem blauen Band verkauft. Durch einen strammen Zapfenstreich wurde dann das Festprogramm des ersten Speyerer Verkehrs- und Bretzeltages eröffnet. Der Landauer Artilleriemusikzug zog, flotte Märsche spielend, durch die Straßen der Stadt. Gleich an zwei Stellen, am Altpörtel und auf dem Marktplatz, war um 11.00 Uhr großes Standkonzert. Die Kapelle des Königlichen 2. Pionierbataillons und die Landauer Kapelle spielten um die Wette. Wie die Zeitungen meldeten, zogen ungefähr 12.000 Menschen durch die Hauptstraße, um da und dort sich die Ohren vollblasen zu lassen.
Nachmittags um 15.00 Uhr setzte sich dann der große Festzug, der sich bereits aus 17 Gruppen zusammensetzte, in Bewegung. Gleichzeitig fing es an leicht, aber stetig zu regnen. Der originelle und sehenswerte Festzug verherrlichte in humoristischen Darstellungen die Brezel, das Bier, die Zigarre und die verschiedenen Handwerke. Das ganze, wie es im Programm hieß, unter gütiger Mitwirkung mehrerer Vereine, der Schuljugend und von vier Kapellen. Die Schuljungen mit weiß-roten Schärpen trugen Fähnchen in den Stadtfarben, mit einer Brezel an der Spitze. Trotz des Regens herrschte bei der Jugend eine recht fröhliche Stimmung. Die Schüler wurden von Turnern geführt, so dass stramme Ordnung bestand. Die Bäcker kamen sogar mit einer Riesenbrezel mit sage und schreibe zwei Meter Durchmesser. Die Zeitung berichtete, dass sie von Bäckermeister Noe gebacken worden sei, nachdem er eigens seinen Backofen hatte umbauen lassen.
Als der Festzug, der sich durch mehrere Straßen der Stadt bewegte, eben das Altpörtel passierte, kam es zu einem amüsanten Zwischenfall, der bei den dichtgedrängten Zuschauern großes Hallo hervorrief. Gerade als der Wagen Nummer vier mit einem Altpörtelturm, flankiert von einer Stadtsoldatenwache, durch das echte Altpörtel hindurch fuhr, riss ihm sein stärkerer Konkurrent das Dach herunter.
Der Clou des Tages aber war der Aufstieg der Luftschifferin Fräulein Paulus aus Frankfurt am Main mit einem Freiballon auf dem Festplatz. Um diesem besonderen Ereignis beizuwohnen hatte sich anschließend an den Festzug eine unübersehbare Menschenmenge auf dem Festplatz eingefunden die lange Zeit warten musste, bis der Ballon endlich mit Hurrarufen und fröhlichem Winken aufstieg. Die Zeitung meldete, dass neben der routinierten Aeronautin Herr Reallehrer Reger und der Geometerpraktikant Lenhard an der Fahrt teilnehmen durften, die nach zwei Stunden in Helmstadt in Baden ihr gutes Ende fand.
Kurze Zeit nach dem Aufstieg war in den vielen Wirtschaften der Stadt kaum noch ein Platz zu finden. Bei Musik, Bier und Brezeln ging es dann in allgemein bester Stimmung bis spät in die Nacht hinein. Am nächsten Tag war man sich überall darüber einig, dass das erste Brezelfest ein großer Erfolg war. Die Abrechnung des Kassiers des Verkehrsvereins sah indessen nicht gut aus. Gleichwohl ließ man sich nicht entmutigen, bereits schon bald den Plan für das zweite Brezelfest zu entwerfen.

 

Textauszug aus der Vierteljahresheft-Sonderausgabe 2010:

Am Sonntag, 29. Mai erstrahlt Speyer in einem ganz besonderen Glanz – und das, obwohl es regnet. Nicht nur die Hauptstraße, auch die Nebenstraßen sind mit Fahnen und Fähnchen in den Stadt- und Landesfarben festlich geschmückt. Besonders auffallend sind die Dekorationen in den Schaufenstern der Geschäfte, denn anlässlich des ersten „Speyerer Verkehrs- und Brezeltages“ hat der Verkehrsverein einen großen Schaufensterwettbewerb ausgerufen. Mit dem Pfefferminzbähnchen sind rund 500 Besucher aus der westlichen Umgebung von Speyer zum Brezeltag angereist. Das Stoll’sche Dampfboot kommt aus Karlsruhe und ist mit 400 Personen besetzt. An Bord stimmt die Kapelle der Unteroffiziersschule Ettlingen die Gäste aus dem benachbarten Baden musikalisch auf das Fest ein. Am Nachmittag zieht der große Festzug mit 17 Gruppen und originellen Darstellungen rund um Bier, Zigarren und Brezeln wie ein exotischer Lindwurm durch die Stadt. 12.000 Zuschauer säumen die Straßenränder und jubeln den Umzugsteilnehmern zu. Als sich der Festzug durch das Altpörtel bewegt kommt es zu einem Zwischenfall, der bei den Zuschauern für Heiterkeit sorgt: Der Wagen Nr. 4, gekrönt von einem Altpörtel-Nachbau, passt nicht so recht durch den alten Speyerer Torturm, so dass der Nachbau vom Original regelrecht geköpft wird. Die Zuschauer finden das Schauspiel recht lustig – den Wagenbauern jedoch blutet das Herz.
Höhepunkt des ersten Speyerer Ver-kehrs- und Brezeltages ist jedoch der Start eines Heißluftballons vom Fest-platz aus. Am folgenden Tag ist in der Zeitung zu lesen:
„Nach 4 Uhr traf der Festzug auf dem Festplatz ein. Der große Platz nächst dem Marxdamm war von den Festbesuchern dicht besetzt, die trotz des strömenden Regens sich nicht nehmen ließen, den Aufstieg des Frl. Paulus in ihrem Freiballon ,Karolus‘ zu schauen. Lustige Weisen spielten die Kapellen auf, bis der Aufstieg um 5 Uhr erfolgte. In dem Ballon nahmen noch Platz Herr Reallehrer Reger und Geometer Lenhardt von Speyer, der sich z.Zt. hier in Urlaub befindet. Der Ballon ging rasch in die Höhe und lange blieb er dem Auge sichtbar. Der Ballon landete in Helmstadt in Unterfranken.“
Nach dem Ballonstart lässt das Regenwetter die Zuschauer ins Trockene fliehen. Die Gasthäuser sind gefüllt und noch bis in den späten Abend hinein wird hier der 1. Speyerer Verkehrs- und Brezeltag gefeiert. Auch hierüber berichtet die Zeitung am nächsten Tag:
„Mehrere Sonderzüge mußten abgelassen werden, um all die lieben Gäste wieder heimwärts zu bringen. Es muß ihnen bei uns sehr gut gefallen haben, denn man hörte nur Worte des Lobes und der Anerkennung über all das Gebotene. Möge der 1. Verkehrstag einen wichtigen Beitrag dazu geliefert haben, daß überall die Leistungsfähigkeit unserer Geschäftswelt anerkannt und die Gastlichkeit der Stadt gepriesen wird. Dann nimmt Speyer wieder den Aufschwung, den wir ihm von ganzem Herzen wünschen. – Nicht unerwähnt darf bleiben, daß Stadt und Bürgerschaft Straßen und Häuser aufs schönste dekoriert hatten.“